laut.de-Kritik

Hier wächst zusammen, was getrennt gehört.

Review von

Heinz Rudolf Kunze ist nun schon seit drei Jahrzehnten in der deutschen Musiklandschaft zu Hause. Gut zwanzig Jahre davon habe ich begleitet. Ich habe seine Entwicklung, vier Konzerte und unzählige Studioalben miterleben dürfen. Und warum? Als Freundschaftsdienst an meinem besten Freund, wohl der größte Kunze-Anhänger, der mir je begegnet ist. Nun feiert sich Kunze mit "Ich Bin - Im Duett Mit" selbst. Das kann er. Macht ja sonst keiner.

Der Ur-Hipster, meist mit stattlichem Oberlippenbart und dicker Ray Ban ausgestattet, klappt für die Feierlichkeiten das Necronomicon Ex-Mortis auf, spricht eine wirre Beschwörungsformel, und all die Untoten des deutschen Musikgeschäfts erscheinen. Pe Werner, Achim Reichel, Reinhard Mey, Hartmut Engler, Herman van Veen, Purple Schulz, Stefan Gwildis, Jan Plewka, Julia Neigel, Joachim Witt und Tobias Künzel - elf Namen die auch der nächsten Staffel von "Ich bin ein Star - Holt mich hier raus!" gut zu Gesicht stehen würden. Doch leider kommt Kunze auf die Idee, mit diesen Restposten von Lindenbergs "MTV Unplugged" seine Gassenhauer neu zu vertonen.

In einer so langen Zeitspanne und bei über 20 Alben kann es selbst ein Heinz Rudolf Kunze nicht vermeiden, ein paar gute Songs unter die Menschheit zu bringen. "Balkonfrühstück", "Find Mich Eines Morgens" oder "Es Ist Nicht Wie Du Denkst" sind hier nur Beispiele. Die Dreißigjahrfeier umschifft diese aber komplett und setzt fast ausschließlich auf die alten Deutschrock-Klassiker.

Mit Ecken und Kanten waren diese noch nie sonderlich gesegnet. Aber um "Ich Bin - Im Duett Mit" noch Carmen-Nebel-tauglicher zu machen, schleift Kunze diese in der Neuaufnahme dann vollends ab. Wie sehr er mittlerweile von Frau Nebel abhängig ist, erklärt Kunze selbst im Interview mit Kulturvollzug am besten:

"Eigentlich sollte das Album schon zu Weihnachten da sein und mit einem Auftritt in der Fernsehsendung 'Willkommen bei Carmen Nebel' gestartet werden. Aber das Schicksal wollte es, dass die Sendung im Dezember schon dicht war. Deshalb mussten wir noch etwas warten." Selbst für Eigenwerbung bei der Zeitung mit den vier großen Buchstaben ist sich der Barde 2012 nicht mehr zu blöd.

Die viel zu brave Werkschau beginnt gleich mit dem unausweichlichen "Dein Ist Mein Ganzes Herz" im Duett mit Pe Werner. Freiheit ist Einsicht in die Notwendigkeit. Jetzt alle, frei nach Axel Hacke, mitsingen: "Dein ist mein ganzes Herz, du bist mein Rheumaschmerz."

Ich hatte auch meinen weißen Neger Wumbaba bei diesem Lied, habe immer "wir werden beriesen sein" verstanden. Was muss der Herr Kunze doch für ein gebildeter Mensch sein, ein Wort wie "beriesen" zu kennen und zu nutzen. Ne, war er dann doch nicht, er singt "wie Riesen". Die Mühe, das Ding noch mal neu einzuspielen, hätte man sich übrigens sparen können, die Änderungen sind minimal. Bloß nicht mit der Formel spielen, erst recht nicht zum Geburtstag. Pe Werner hat nichts Neues beizutragen.

"Meine Eigenen Wege" begleitet das von Timing und Gesangsrhythmik befreite Gebrummel von Achim Mentzel, nein, Reichel. "Aller Herren Länder" klingt wie ein Duett mit Vader Abraham ohne Schlümpfe, ist aber nur Hermann van Veen ohne Alfred Jodocus Kwak. Schade eigentlich.

Spätestens in "Immer Für Dich Da 1" wächst zusammen, was getrennt gehört. Reinhard Mey und Heinz Rudolf Kunze, die zwei Gartenzwerge der deutschen Pillepallemusik, geben sich voller Pathos die gegenseitige Ehre. Schlimmer macht es nur noch Pur-Sänger Hartmut Engler, der aus "Ich Hab's Versucht" ein gefühlsbefreites Stoffwechselendprodukt macht, für das sich selbst Rosenstolz zu fein wären.

Wenn Kunze nach der Zusammenarbeit mit Tobias Künzel ("Finden Sie Mabel") Sätze wie: "Wir haben sehr viele Gemeinsamkeiten. Da ist - auch musikalisch gesehen - das letzte Wort noch nicht gesprochen", zu Protokoll gibt, kommt dies einer Drohung gleich. Warum "Hunderttausend Rosen" eins zu eins vom Album "Die Gunst Der Stunde" übernommen wurde, bleibt wohl für immer ein Rätsel.

Dabei ist nicht alles verlorene Zeit. Der Flop "Die Welt Ist Pop" aus dem Eurovision Songcontest-Vorentscheid, erfährt mit der Hilfe von Joachim Witt unerwartete, sarkastische und pointierte Würze. Warum die meisten Fans bis heute Heiner Lürig nachtrauern, wird in "Fair Play" deutlich. Jan Plewka macht seine Sache in "Lisa" doch recht ordentlich.

Doch am Ende bleiben nur zwei Erkenntnisse: Trau' keinem über dreißig und mache nie etwas nur aus reiner Freundschaft. Denn wie hat mir mein bester Freund all die Jahre Kunze gedankt? Er hat mir meine Freundin ausgespannt. Alles umsonst. Chapeau!

Trackliste

  1. 1. Dein Ist Mein Ganzes Herz
  2. 2. Meine Eigenen Wege
  3. 3. Immer Für Dich Da 1
  4. 4. Ich Hab's Versucht
  5. 5. Aller Herren Länder
  6. 6. Längere Tage
  7. 7. Wenn Du Nicht Wiederkommst
  8. 8. Hunderttausend Rosen
  9. 9. Lisa
  10. 10. Mit Leib Und Seele
  11. 11. Die Welt Ist Pop
  12. 12. Fair Play
  13. 13. Finden Sie Mabel
  14. 14. Ich Bin

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