laut.de-Kritik

Großartige Melodien, gepaart mit gesunder Härte.

Review von

Helloween gehören mit Blind Guardian zu den ersten Bands, die unter dem Banner des Powermetals zünftige Hartwurst-Weisen unters Volk dengelten. Dass bei den heutigen Vertretern des Genres so viele Gurkentruppen ihre konfektionierte Stangenware feilbieten, kann man den Hamburgern ankreiden, so man denn wollte. Man tut ihnen jedoch Unrecht, denn beim Erscheinen von "Keeper Of The Seven Keys Part I" waren die Jungs selbst noch auf der Suche nach ihrem eigenen Sound.

1984 in Hamburg aus der Taufe gehoben, etablierten sich Helloween schon mit ihrem beachtlichen Debüt "Walls Of Jericho" in der nationalen Schwermetall-Liga ganz weit vorne. Zunächst rumpelten sie kraftvoll, aber recht ungestüm dahin. Die ersten Meriten heimsten die Hanseaten noch mit Kai Hansen am Mikro ein. Dem wurde die Doppel-Belastung mit Lead-Gitarre und -Gesang aber zu viel und so wollten sie sich eigentlich die Stimmgewalt von Tyran Paces Ralf Scheepers sichern. Der wollte den Umzug von der Spätzlesmetropole in den hohen Norden aber nicht mitmachen. Somit musste ein anderer Sänger her. Den zogen sie völlig überraschend mit dem damals 18-Jährigen Michael Kiske aus dem Hut. Dass sie mit ihm den großen Fang gemacht haben, stellte sich aber erst später raus.

Nachdem "Walls Of Jericho" unter dem damals weit verbreiteten Kloschüssel-Sound litt, kanalisierte die zum Quintett angewachsene Formation ihre Energie nun konzentrierter und geschliffener. Das lag auch zum großen Teil am doppelten Tommy. Tommy Newton und sein Namensvetter Hansen produzierten beide Teile der Keeper-Saga, die eigentlich als Doppel-Album angelegt waren. Dagegen sperrte sich jedoch das Label Noise. Vom kommerziellen Standpunkt aus betrachtet verständlich, lässt sich der Fan bei zwei separaten Teilen doch auch zweimal melken. Dieses Prinzip kennt man also schon vor Guns N' Roses.

Einer der Haupteinflüsse der Kürbisköpfe lässt sich spielend leicht heraushören. Wenn man sich die Doppel-Leads der Herren Kai Hansen und Michael Weikath so anhört, geht das direkt auf die Gitarren-Duelle zurück, die sich Dave Murray und Adrian Smith bei Iron Maiden liefern. Hier liegt auch der Hase im Pfeffer begraben, der dieses Album zu etwas Besonderem im Metal macht. Die Melodielastigkeit des Songwritings bekam mehr Gewicht. Wo Helloween vorher noch jugendlich unbekümmert und unkontrolliert herum lärmten, zieht sich nun ein roter Faden durch das Album.

Nach dem Intro "Initiation" macht "I'm Alive" dies mehr als nur deutlich. Das pathetische Riffing der Einleitung und die im Hintergrund wabernde Fanfaren samt angedeuteter Chöre schieben den Song im Midtempo an, ehe nach einem Break ordentlich die Post abgeht. Ingo Schwichtenberg puscht den Track mit gnadenlosen Salven aus der Double-Bass nach vorne, Hansen und Weikath gniedeln und wedeln sich im Solo-Teil herrlich einen von der Palme, garniert von der juvenilen Stimmgewalt des Ausnahmesängers Kiske. Hier passt so dermaßen alles wie Arsch auf Eimer, dass es eine wahre Freude ist. Helloween schickten sich an, die Messlatte für Qualitäts-Metal aus Deutschland ein paar Stufen höher zu legen.

Ebenfalls erwähnenswert: Markus Grosskopfs Bass-Spiel. Der Lockige Hühne an den vier Saiten beschränkt sich nicht darauf, das Rhythmus-Fundament mit seinem schlagwerkelnden Kollegen zu bereiten, sondern bringt sich vielfach mit melodischen Ausflügen ein, die dem Sound der Hanseaten eine erfrischende Note verleihen. Mit insgesamt nur sechs richtigen Songs kommt das Album auch nicht überladen und allzu lange um die Ecke, der kurzweilige Spaß bleibt auf voller Distanz erhalten.

Nach dem bollernden Dreierpack zu Beginn mit "I'm Alive", "A Little Time" und "Twilight Of The Gods" warten Helloween bei "A Tale That Wasn't Right" mit ihrer ersten Ballade überhaupt auf. Das bluesige Lick zu Beginn mündet im weiteren Verlauf in einen wahrhaft pompösen Feuerzeugschwenk-Song. Hier darf sich Michael Kiske so richtig austoben. Das hat schon etwas musical-artiges, wenn er - flankiert von pathetischen Chören - dem Ende entgegen trällert. Negativ sei hier bemerkt, dass das Fade Out den eigentlich recht hübschen Song kastriert. Egal, denn hernach folgt mit "Future World" einer der besten Helloween-Songs ever. Das Eröffnungsriff ist eines, das man aus Hunderten von Intros ohne Probleme schon nach zwei Sekunden richtig zuordnen kann.

Im letzten eigentlichen Song offenbart sich das gestiegene Selbstbewusstsein der Hamburger dann endgültig. "Halloween" geht mit einer Spielzeit von über 13 Minuten über die Ziellinie und bietet mannigfaltige Ideen. Einmal mehr brilliert Kiske als Geschichtenerzähler, der mit operettenhafter Attitüde den Kampf zwischen Gut und Böse inszeniert. Ausgiebige solistische Ausflüge, Breaks und Spoken Word-Einlagen begleiten ein atmosphärisches Auf und Ab. Dieser Longtrack ist bis heute in der Bandgeschichte unerreicht. Etwas sperrig, nicht unbedingt eingängig, aber auf seine Art eigen und faszinierend.

Was hätte aus dieser Band noch werden können, wenn sie diesen Stil weiter beibehalten hätten? Aber schon der zweite Teil des Keepers konnte das Level nicht mehr halten. Nach Hansens und Kiskes Ausstieg und Katastrophen wie "Pink Bubbles Go Ape" oder "Chameleon" war der Drops ohnehin gelutscht. Mit Andi Deris' als Nachfolger am Mikro wagten Helloween einen Neustart, an die Magie der ersten Jahre konnten sie aber nie wieder richtig anknüpfen. An dieses Album sowieso nicht.

Erst sehr viel später zeigt sich, wie einflussreich Helloween mit diesem Album waren und nach wie vor sind. Großartige Melodien, gepaart mit gesunder Härte, selten hat man dies im Metal so schön serviert bekommen wie hier.

In der Rubrik "Meilensteine" stellen wir Albumklassiker vor, die die Musikgeschichte oder zumindest unser Leben nachhaltig verändert haben. Unabhängig von Genre-Zuordnungen soll es sich um Platten handeln, die jeder Musikfan gehört haben muss.

Trackliste

  1. 1. Initiation
  2. 2. I'm Alive
  3. 3. A Little Time
  4. 4. Twilight Of The Gods
  5. 5. A Tale That Wasn't Right
  6. 6. Future World
  7. 7. Halloween
  8. 8. Follow The Sign

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6 Kommentare

  • Vor 7 Jahren

    Ich liebe Power Metal aber mit Helloween konnte ich nie was anfangen. Warum habe ich mich dann trotzdem für einen Meilenstein für sie ausgesprochen? Weil sie es verdienen. Deutscher Stahl besteht vor allem aus zwei Komponenten: Thrash und Power. Und beim letzten sind Helloween einfach die Vorreiter, zusammen mit Blind Guardian und Running Wild. „Keeper…“ hat diesen Sound, diesen typischen deutschen Power Metal Sound schon sehr geprägt. Man muss mal „Keeper…“ in Vergleich zu Jag Panzer’s „Ample Destruction“, einem er US-amerikanischen Power Metal Alben schlecht hin, da merkt man den unterschied. Bei der US Prägung ist das ganze viel näher am Thrash als bei der deutschen, die eher im Speed Metal verwurzelt ist.

    Als nächsten dann Blind Guardian - Nightfall in Middle-Earth. Aber vorher noch "Prince of the Poverty Line", ja?

  • Vor 7 Jahren

    Geiles Album! Das habe ich damals rauf und runter gehört.

  • Vor 7 Jahren

    Viel Liebe für Helloweens erste beiden Alben und Alex Cordas!

  • Vor 7 Jahren

    Absolut berechtigt!
    Helloween war damals die Nr.1 im Power Metal Bereich.
    Schade das Mr.Kiske so abgedreht wurde.
    PS: Blind Guardian starteten erst später, ende der achtiziger als nächste Generation nach Helloween durch. Dafür konnte diese Ihr Level bis heute halten ;-)

  • Vor 7 Jahren

    tolle rezi und wirklich extrem gute, passend ausgewählte genreplatte.

    mein ganz persönlicher fav ist die walls of jericho; aber wohl nur, weil ich sie damit kennenlernte und die walls damals als gemeinsamer nenner sogar bei leuten funktionierte, die sonst derberen metal/hardcore-stoff hörten.

    auch wenn part II nicht mehr ganz so stark ist, wie keeper I; er taugt dennoch mehr als alles, was danach kam. sachen wie "I want out" oder "eagle fly free" hätten auch gut auf teil eins gepasst.

    schade, dass hansen qualitativ mit gamma ray ebensowenig an helloween anknüpfen konnte, wie die resttruppe.