laut.de-Kritik

Wenn der Märchenwald ins Rap-Ghetto kracht ...

Review von

Dass Berufsbetroffene von MTV bis "Hart Aber Fair" quer durch die Formate ausgerechnet Kaas zur Wurzel allen Übels erkoren haben, seinen Clip zu "Amok Zahltag" brutal aus dem Zusammenhang rissen und als jugendgefährdend und gewaltverherrlichend einstuften, beweist eigentlich nur, wie wenig sich die Macher öffentlicher Meinung zuweilen mit der Materie befassen, über die sie sich als Richter aufschwingen.

Der Titeltrack wurde in der letztlich veröffentlichten Fassung durch "Amok Nachtrag" ersetzt, das ursprüngliche Intro wich einer "Lovemovement Anthem". "Ich wollte niemanden verletzten, ich wollte aufrütteln." Kaas wirkt um Welten glaubwürdiger als seine zu offensichtlich oberflächlich präparierten Kritiker.

Mit dem Album, das einst unter dem Namen "Amok Zahltag :D" bekannt war, kracht ein Rapper in die düsteren Straßen Hip Hop-Deutschlands, der kaum alle Tassen im Schrank, dafür einen ganzen "Märchenwald" im Kopf hat. Sein farbenfroher Wahnsinn mag nicht jedermanns Sache sein (Humorprofi Kollegah, so sagt man, ist gar nicht amüsiert). Erbauung und reichlich frischen Wind birgt die Kaas'sche Happyhappy-Joyjoy-Hüpfburg allemal.

Zumal der Mann ja Recht hat: "Die Welt braucht süße Liebe in Herz und Bauch / Nimm deinen Lieblingsmenschen in den Arm und drücke fest drauf." Die Botschaft mag überspitzt sein, aber ich sags mal mit den Worten FlowinImmos: "Was soll denn daran schlecht sein?"

Kaas konstruiert weder die kompliziertesten Reimstrukturen, noch glänzt er mit Highspeed-Raps. Den Hang zu gesungenen Hooklines und ganzen Songs ("Sam Cooke Und So") lässt er sich von der Erkenntnis, nicht zum größten Stimmwunder unter der Sonne berufen zu sein, noch lange nicht austreiben.

Ja, die Stimme ... Man muss es schon ein wenig quäkig mögen, um mit Kaas' Style klar zu kommen. Der hat gehörig Schlagseite. Wenn man jedoch die Orsons überstanden hat, wundert einen ohnehin gar nichts mehr. Dann bleiben nur zwei Möglichkeiten: sofort wegschalten - oder den Duft der Blumen der Verrücktheit schlicht genießen.

Der Kaas'sche Wahnsinn war nicht immer bunt. Drei Jahre Arbeit stecken in dem vorliegenden Album. Die Entwicklung vom Beinahe-Amokläufer zum Beschwörer der "Geister Der Liebe" ist "T.A.F.K.A.A.Z. :D" deutlich anzuhören.

Von Kool Savas sexuell erregtem "Straßenrap" folgen Irrungen und Wirrungen im Tal der Tränen ("Über Dich / An Sie"), ehe sich der "Nichtsnutz 09" aus öder Eintönigkeit befreit, den "Besten Tag Seines Lebens" feiert (jedenfalls "Bis Jetzt") und sich selbst zur großen Party einlädt: "Des isch e richtig cooles Fescht."

Ex-Bassquiat- und Orsons-Kollege Tua besorgt den Großteil der Produktionen. Geht es bei ihm sonst in aller Regel eher melancholisch zu, darf er hier mit fluffigen Melodien ("Lovemovement Anthem"), Kate Bush-Samples ("Der Beste Tag ..."), lustigen Vocodereffekten und ans Lächerliche grenzenden Synthies ("Das Große Fest") hantieren und überhaupt im Ballermann-Appeal baden.

Für das filigrane Saitengeflirre in "Nichtsnutz 09" oder die wehmütige Violine aus "Haruki" zeichnet dagegen der wie Kaas dem süddeutschen Reutlingen entsprungene Christyle verantwortlich.

Ein Produktionsfehler fraß die erste Auflage, eine Veröffentlichung der zweiten mit dem Titel "Amokzahltag :D" nur wenige Tage nach den Vorfällen in Winnenden, die 16 Menschen und einen jugendlichen Attentäter das Leben kosten, verboten Menschlichkeit und Feingefühl.

Kaas verfügt unüberhörbar über beides. Seit er bei einem "spirituellen Erweckungserlebnis" das Paradies schauen durfte, betrachtet er sich als das Fleisch gewordene Love Movement. Sein Rat ist ein durch und durch positiver: "Macht euren Schmerz zu anerkannter, gut bezahlter Kunst."

Seine mit aller Gewalt positive Sichtweise überspannt zwar einerseits manche Schmerzgrenze. Man sollte Kaas andererseits zugute halten, dass sie die Welt bei konsequenter Anwendung tatsächlich zu einem besseren Platz macht. Mit der richtigen Einstellung klingt eben auch ein "Was geht ab, du Fickgesicht?" wie die zärtlichste Liebeserklärung - und das ist doch wirklich schön.

Trackliste

  1. 1. Lovemovement Anthem
  2. 2. Amok Nachtrag
  3. 3. Strassenrap Ist Sexuell Erregt Dank Kool Savas
  4. 4. Über Sie / An Dich mit Vasee
  5. 5. Nichtsnutz 09
  6. 6. Der Beste Tag Meines Lebens Bis Jetzt
  7. 7. Das Große Fest
  8. 8. Märchenwald
  9. 9. Sam Cooke Und So
  10. 10. Haruki
  11. 11. Für Uwe
  12. 12. Wunderschöne Welt

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LAUT.DE-PORTRÄT KAAS

"Ich erzähle Geschichten, die Kafka erzählt hätte, wenn er glücklich gewesen wäre. Geschichten deren Sinn sich erschließt, wenn man die Logik ausblendet.

79 Kommentare

  • Vor 15 Jahren

    Nach allerlei Querelen und durch Fehlpressung und mediale Amokläufe bedingten Verschiebungen veröffentlichte der Reutlinger MC Kaas am 22.05.2009 sein lange erwartetes Album "T.A.F.K.A.A.Z. :D" über Chimperator. Dabei profitiert der Künstler nicht zuletzt von einer selten zuvor erlebten Solidarität innerhalb der deutschen HipHop-Szene, die die Grundlage eines massiven Hypes und somit der deutschlandweiten Ausbreitung des "Love Movement" darstellt.

    Solidarität und Hypes sind jedoch vergänglich. Was bleibt ist die Qualität des Produktes, an der sich der Künstler Kaas in Zukunft messen lassen muss. Damit zumindest auf Produktionsseite keine größeren Risiken eingegangen werden, sicherte sich der Reutlinger die Dienste seines langjährigen musikalischen Wegbegleiters Tua, der bereits an anderer Stelle in diesem Blog mit reichlich Lob überhäuft wurde. Mit lebensbejahenden Produktionen auf hohem Niveau beweist dieser auf "T.A.F.K.A.A.Z. :D" seine Vielseitigkeit. Die weiteren Produktionen stammen von den bewährten Chimperator-"Hausproduzenten" Christyle und Peerless und fügen sich passgenau in die positive Botschaft des Albums ein.

    Inhaltlich führt Kaas weiterhin den Weg fort, den er bereits mit seiner Beteiligung bei den Orsons und seiner kostenlosen EP "Der Garten der Liebe" einschlug. So gibt schon der einleitende "Lovemovement Anthem" die Marschrichtung für die insgesamt 13 Anspielstationen (inklusive schlecht verstecktem Bonustrack) des Albums vor. Es folgt der "Amok Nachtrag", der das (absichtlich?) mißverstandene "Amok Zahltag" ersetzt und die "Hetzkampagne" gegen Kaas nach dem Amoklauf von Winnenden derart deutlich aufarbeitet, dass selbst von ARD- und BILD-Dummies keine Fehlinterpretationen mehr zu erwarten sind. In die Liste der Glanzlicher des Album reiht sich auch die Massive Töne-Hommage "Nichtsnutz 09" ein, mit der Kaas eine breite Projektionsfläche für frustrierte Arbeitnehmer bietet, die viel lieber ihren Traum leben und zum Beispiel HipHop-Blogger wie Herr Merkt werden würden. Überdurchschnittlich fallen auch die beiden nachdenklichen Werke "Über sie/An Dich" (mit Vasee) und "Haruki" aus, auf denen der Reutlinger mehr oder minder freiwillige Trennungen verarbeitet.

    Damit die Hörerin und der Hörer nicht zu stark in ein Stimmungstief gezogen wird, dominieren auf Albumlänge positive Tracks wie das fantasievolle "Straßenrap ist sexuell erregt dank Kool Savas" (mit knackigem Kool Savas-Beitrag) und das mit schwäbischem Kehrvers ausgestattete "Das große Fest". Auch das gesungene "Sam Cooke und so" (SCHLAGZEILE: mit Bushido-Diss?) geht direkt ins Ohr und beschert nicht nur frisch Verliebten einen Ohrwurm, der sich über Tage im Gehörgang festfrisst. Über den Autotune-Ausrutscher "Für Uwe" sei in Anbetracht von weiteren großartigen Tracks wie "Wunderschöne Welt" und dem wunderbaren "Geister der Liebe" die Hülle des Schweigens gelegt.

    Mit "T.A.F.K.A.A.Z. :D" schuf Kaas meiner Meinung nach nicht weniger als ein stilprägendes Album, welches Deutschrap in den kommenden Jahren derart prägen wird wie seinerzeit Bushidos "Vom Bordstein zur Skyline". Mit positiven Werten haucht Kaas dem in punkto Öffentlichkeitswirkung stagnierenden Deutschrap neues Leben ein und drängt zweifelhafte Werte wie Gewalt, Materialismus und Promiskuität vorübergehend in den Hintergrund. Mit Maeckes & Plan B in der Hinterhand könnte das zukünftige "Label Nr. 1" auch aus Stuttgart kommen.

    Wertung: 5,5/6

    Quelle (http://herrmerkt.blogspot.com/2009/05/kaas…)

  • Vor 15 Jahren

    @Herr Merkt («

    Über den Autotune-Ausrutscher "Für Uwe" sei in Anbetracht von weiteren großartigen Tracks wie "Wunderschöne Welt" und dem wunderbaren "Geister der Liebe" die Hülle des Schweigens gelegt. »):

    :sweat:

    Track des Jahres und so.

  • Vor 15 Jahren

    *schubs hoch*

    Ein klasse Album hat KAAS da abgeliefert. Kriegt zurecht 5.5 :D